Antisemitismus ohne Antisemiten

Polemics_Kurz-Netanjahu
Arbeitsbesuch Israel. Bundesminister Sebastian Kurz trifft Premierminister Benjamin Netanjahu. Jerusalem. 16.05.2015, Foto: Dragan Tatic

„In einer Ironie der Geschichte findet in Österreich gerade ein neuer politischer Wettkampf statt: Wer ist der mutigste Anti-Antisemit?“, schrieb Martin Engelberg in einem Artikel am 15. Oktober diesen Jahres, der in der israelischen Tageszeitung Haaretz erschien. Der Hintergrund: im vorletzten TV-Duell des Wahlkampfes sprachen sich die Parteiobmänner von ÖVP und FPÖ entschieden gegen Antisemitismus aus. Vonseiten der FPÖ schien eine solche Erklärung lange Zeit unmöglich: erst 22 Jahre ist es her, dass FPÖ-Nationalratsabgeordneter John Gudenus (nicht zu verwechseln mit dessen Sohn Johann Gudenus) die Existenz von Gaskammern in Frage stellte. Nun scheint alles anders.

Prinzipiell sind diese Abgrenzungen vom Antisemitismus zu begrüßen. Doch stehen diesen Lippenbekenntnissen jetzt Aussagen gegenüber, die Zweifeln lassen, ob sich das politische System Österreichs auf einem nachhaltigen Pfad zum Ende des Antisemitismus befindet.

Die aktuelle Antisemitismusdebatte ist ein Stiefkind des dominanten Wahlkampfthemas: der „Causa Silberstein“. Die Saga begann am 14. August 2017, als bekannt wurde, dass der Israeli Tal Silberstein in seiner Heimat wegen Betrugs inhaftiert wurde. Silberstein ist politischer Berater und Spin-Doktor, im diesjährigen Wahlkampf arbeitete er für die SPÖ. Die ganze Affäre verschärfte sich, nachdem bekannt worden war, mit welchen Methoden Silberstein den Wahlkampf betrieb. Er ließ zwei Facebook-Seiten erstellen, „Die Wahrheit über Sebastian Kurz“ und „Wir für Sebastian Kurz“, auf denen unter falschem Deckmantel „Negative-Campaigning“ gegen den Kanzlerkandidaten betrieben wurde – mit teils rassistischen und antisemitischen Aussagen.


Auf diese Aufdeckungen reagierten sämtliche Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer prompt und heftig. Zwei Aussagen stachen dabei hervor: Sebastian Kurz selbst sowie der Ex-Grüne Peter Pilz trafen Formulierungen, die dank Silbersteins klassisch-jüdischen Nachnamen unangenehme Assoziationen hervorrufen. Auf dem Parteitag der steirischen ÖVP erklärte Kurz die Nationalratswahl zur „Volksabstimmung darüber, ob wir Silbersteins in Österreich haben wollen.” Peter Pilz verkündigte zur selben Zeit mehrfach, er wolle „Österreich Silberstein-Frei machen”. Beide Aussagen zogen scharfe Kritik von prominenter Seite nach sich und wurden sogar in israelischen Medien diskutiert. Pilz Wortmeldung erinnert nur zu gut an das berüchtigte Versprechen des Nationalsozialismus, „Deutschland judenfrei zu machen“. Wie kann es passieren, dass in Österreich einerseits die klare Positionierung gegen Antisemitismus in Mode kommt und andererseits Spitzenpolitiker Aussagen treffen, die allzu leicht als antisemitische Codes verstanden werden können?

Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes beschäftigt sich seit Jahren mit Antisemitismus. Er glaubt, dass weder Herr Kurz noch Herr Pilz Antisemiten sind. „Jedoch kann schlussendlich nur spekuliert werden, ob sie diese Aussagen aus taktischen Gründen absichtlich oder tatsächlich unabsichtlich getätigt haben.“ Laut Peham können solche Sager durchaus unbewusst geschehen, da sowohl Pilz als auch Kurz in einer antisemitischen Gesellschaft sozialisiert wurden: der österreichischen. Denn: „Jede europäische Gesellschaft, auch die österreichische, hat seit Jahrhunderten antisemitische Klischees kultiviert.“ Allerdings, so Peham, darf man von Personen im öffentlichen Raum mehr Reflexionsfähigkeit erwarten – speziell, wenn sie politische Ämter bekleiden. „Diese Kritik muss auch unbedingt geäußert werden.“, bekräftigt Peham. „Denn selbst, wenn solche Sager unabsichtlich geschehen, reproduzieren sie Antisemitismus in der Gesellschaft. So etwas sollte auf keinen Fall passieren.“

Auch für Benjamin Hess, Präsident der jüdischen Hochschülerschaft Österreichs, ist Antisemitismus in Österreich alles andere als Vergangenheit. „Der Antisemitismus wandelt sich und tritt versteckter zu Tage, ist aber immer noch omnipräsent.“ Die Partei, die mit Abstand am häufigsten mit Antisemitismus in Verbindung kommt, ist die FPÖ. Ein jüngeres Beispiel ist der Fall des FPÖ-Nationalratsabgeordneten Johannes Hübner, welcher den Vater der österreichischen Verfassung, Hans Kelsen, bei einer Rede „Kohen“ nannte. „Kohen“ ist ein Codewort aus der rechten Szene, es beschreibt Menschen jüdischer Herkunft. Laut Hess nutzt die FPÖ den „leider tatsächlichen existierenden“ Antisemitismus in Teilen der muslimischen Bevölkerung, um von der eigenen Judenfeindlichkeit abzulenken. „Sie versuchen Antisemitismus an den Islam zu koppeln, und es so darzustellen, als wäre Antisemitismus eine rein muslimische Thematik.“, sagt Hess.

Während der Hübner-Affäre reagierte beispielsweise FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache mit einem Facebook-Post, laut dem die FPÖ die einzige Partei sei, die sich gegen den “wahrhaft gefährlichen Antisemitismus“ stelle – nämlich jenen von muslimischer Seite. Doch trotz ihrem öffentlichen Auftreten gegen Antisemitismus hat sich, so Hess, nichts in der FPÖ grundlegend geändert – als Grund sieht er den Einfluss deutschnationaler Burschenschaftler.

Es ist sehr zu begrüßen, dass Politikerinnen und Politiker aus allen Parteien den Antisemitismus öffentlich verurteilen. Die reine Verurteilung ist aber nicht genug, denn es scheint, als würde der Antisemitismus im politischen Systems Österreichs weiterhin existieren. Damit Judenfeindlichkeit nachhaltig aus der österreichischen Gesellschaft verschwindet, müssen Politikerinnen und Politiker ihre Verantwortung als Vorbilder wahrnehmen. Denn selbst wenn Aussagen wie jene von Pilz und Kurz unabsichtlich getätigt wurden, verbreiten sie antisemitische Klischees – und sind somit gefährlich. Hier ist mehr Reflexionsfähigkeit von Politikern gefordert. Denn wenn Parteien sich in der Öffentlichkeit so deutlich gegen Antisemitismus aussprechen, müssen sie auch dementsprechend handeln, um glaubhaft zu sein.